Modellieren in der Biologie
(Ableitinger, 2010; Crawford & Cullin, 2005; Greefrath et al., 2017; Krüger, Kauertz & Upmeier zu Belzen, 2018; Krell & Krüger, 2013; Krohs, 2004; Treagust et al., 2002; Upmaier zu Belzen & Krüger, 2010; Upmeier zu Belzen & Krüger, 2019; Wess, 2020)
Modelle und Modellieren in den Naturwissenschaften: Biologie
Modelle sind bedeutungsvolle Arbeits- und Hilfsmittel in den Naturwissenschaften. Dies gilt in hohem Maße in der Biologie, ferner dem Biologieunterricht – nicht zuletzt nimmt das Modellieren einen großen Bereich der KMK-Bildungsstandards (2012) ein. In der Biologie ist der “gesamte Modellierungsprozess und die damit verbundene […] Unterscheidung zwischen Mathematik und Realität […] grundlegend für die Auffassung von Modellieren” (Wess 2020, S. 89). Die Biologie behilft sich mathematischer Werkzeuge, um Erkenntnisgewinne zu generieren. Weiterhin werden sie als Mittel der Demonstration bekannter Fakten und Phänomene eingesetzt (vgl. Krüger et al., 2018). Die besondere Stellung des Modellierens in den Naturwissenschaften beruht auf der Bedeutung der Arbeitsweisen des Beobachtens, Vergleichens, Ordnens und Experimentierens. Eine einheitliche Theorie des Modellierens in den Naturwissenschaften existiert nicht. Das folgende Schema nach Krüger et al. (2018) zeigt einen Überblick über die Gemeinsamkeiten des Modellierens in den Naturwissenschaften:
Abbildung: Prozessschema naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung durch Modellieren in Anlehnung an Krüger et al. (2018, S. 146)
Biomathematische Modelle im Schulunterricht
Ableitinger (2010) gibt eine präzise Übersicht über die wesentlichen Teilgebiete biomathematischer Modelle, wie sie im Schulunterricht an Gymnasien und Gesamtschulen vorkommen:
- Demographie: Beschreibt die menschliche Bevölkerung, ihren Aufbau und ihre Bewegungen. Eine prominente Kenngröße ist etwa die Geburten- und Sterberate. Alterspyramiden sind hierbei ein häufig genanntes Modell der Verteilung von Altersgruppen in einer Bevölkerung.
- Mathematische Ökologie: Beschreibt das Zusammenwirken und die Wechselwirkungen mehrerer Populationen aufeinander, aber auch das Einwirken äußerer Einflussfaktoren auf diese Populationen. Das wohl bekannteste Beispiel hierfür sind Räuber-Beute-Beziehungen.
- Epidemiologie: Beschreibt die Gründe und das Ausbreitungsgeschehen übertragbarer Krankheiten. Hierbei wird nach Wegen der Eindämmung, den Gründen für eine beispielsweise rasche Ausbreitung oder Möglichkeiten der Steuerung gesucht.
- Populationsgenetik: Beschreibt die Evolution von Erbanlagen. Im Kern beschäftigten sich diese Modelle mit der Vererbung bestimmter Eigenarten oder der Veränderung des Erbguts. Ohne die Populationsgenetik wäre etwa die Entschlüsselung des menschlichen Genoms mithilfe der DNA-Sequenzierung unmöglich gewesen.
Welche Modelle sind Ihnen noch für Ihre Fächer (z. B. Chemie, Physik, Geographie…) bekannt? Wie würden Sie diese in Ihrem Unterricht nutzen? Welche Ziele würden Sie mit den jeweiligen Modellen verfolgen?
Modellkompetenzen und Einsatz im Biologieunterricht
Auf dem Fundament verschiedenster Studienergebnisse hinsichtlich des Verständnisses von Modellen bei Lernenden als auch bei Lehrenden, haben Upmeier zu Belzen & Krüger (2010) insgesamt fünf Teilkompetenzen der Modellkompetenz im Biologieunterricht herausgearbeitet:
- Eigenschaften von Modellen
- Alternative Modelle
- Zweck von Modellen
- Testen von Modellen
- Ändern von Modellen
Diese wiederum sind in jeweils drei kategorieübergreifende Niveaus im Modelldenken eingeordnet, die die jeweilige differenzierte Ausbildung der Kenntnisse von Lernenden festhält:
- Niveau I: Die Modelle werden als Kopien der Realität aufgefasst.
- Niveau II: Es wird bereits ein expliziter Zweck der Modellierung anerkannt.
- Niveau III: Es wird wahrgenommen, dass das Modell zur Entwicklung und Testung von Ideen beitragen kann.
In der höchsten Niveautufe (III) sind Lernende in der Lage, Modelle als Werkzeug des Erkenntnisgewinns zu nutzen und etwa die Räuber-Beute-Beziehung zu begreifen (Crawford & Cullin, 2005). Krell & Krüger (2013) haben in einer Studie den Modelleinsatz im Biologieunterricht von Berliner Lehrenden untersucht und sich der Fragestellung gewidmet, wie groß der Einsatz von Modellen im Biologieunterricht unter Berücksichtigung von Modellkompetenzen ist. Die Zweckhaftigkeit von Modellen steht im Ergebnis im Vordergrund. Insgesamt konnte verdeutlicht werden, dass dort ein breiter Modelleinsatz im Biologieunterricht stattfindet, und zwar breiter als in anderen Ländern (Krell & Krüger 2013).
Schülerseitige Modellierungsdefizite: Ursachen und Lösungsvorschläge
Obgleich es grundsätzlich möglich ist, ein Objekt als Modell und im Anschluss wieder als Nicht-Modell zu begreifen und weiterhin der Einsatz von Modellen zum Formulieren von Hypothesen in einem zyklischen Prozess gewünscht ist (nicht nur zu Demonstrationszwecken), kommen diese Modell-Aspekte im Biologieunterricht zu kurz (vgl. Upmeier zu Belzen & Krüger, 2019). Insgesamt zeigt sich, dass die Niveaustufe III selten zu beobachten ist – obwohl diese Stufe laut den Vorgaben der KMK im Hinblick auf die Entwicklung naturwissenschaftlicher Kompetenzen das gewünschte Ziel ist.
Zuweilen ist nur eine leicht ausgeprägte Modellkompetenz in den jeweiligen Lehr-Lernsituationen zu beobachten, da im Unterricht Modelle meist als Demonstrationsmodelle genutzt werden (vgl. ebd.). Nach Treagust et al. (2002) liegt infolge dessen ein weiterer Grund darin, dass Lernende nur den alltäglichen – primär repräsentativ auffassenden – Modellbegriff kennen. Es mangle grundsätzlich an Lerngelegenheiten, Modelle über den Demonstrationszweck hinaus zu nutzen.
Implikationen für den Unterricht
Upmeier zu Belzen & Krüger (2019) haben Implikationen für die Ausweitung von Modell-Perspektiven im Biologieunterricht aufgestellt. Zudem geben sie eine Reihe an denkbaren Implikationen für Lehrende an, um ausgedehntere Nutzungsmöglichkeiten für Modelle anzubieten. Um Modell-Perspektiven für Lernende auszudehnen und ein bestenfalls epistemologisches Verständnis aufzubauen, werden folgende Vorschläge gemacht:
- Zurverfügungstellen von Gelegenheiten, die Beziehung zwischen Realität, Experimenten und Modellen – der sogenannten M-E-R Relationship – zu thematisieren.
- Modelle sollen als Erkundungswerkzeug für das Voraussagen und Vergleichen unterschiedlicher Modellierungen verwendet werden. So können Modelle im Biologieunterricht als Lerngelegenheit verwendet werden, sofern sie methodisch eingesetzt werden.
- Lernende sollten mit Alternativmodellen und unterschiedlichen Modellen arbeiten, mathematische Modelle miteingeschlossen, was zu einer Reflexion und Diskussion über den Einsatz von Modellen führt.
Folgende Handlungsoptionen für Lehrende sind im Biologieunterricht denkbar:
- Fachliche Aspekte: Der fachliche, biologische Inhalt sollte leicht verständlich sein, um auf den Modellkompetenzerwerb abzuzielen. Dieser Inhalt ist bestenfalls ein solcher, der von den Lernenden als authentisch wahrgenommen wird. Zudem sollten gleiche Phänomene mit unterschiedlichen Modellen modelliert werden.
- Didaktische Aspekte: Es sollten Unterrichtsabschnitte geplant werden, die einzig auf die Modellkompetenz abzielen. Teilkompetenzen sollten auch in Teilen, d. h. differenziert gefördert werden, um sie dann anschließend wieder zusammenzuführen. Auf diese Weise kann das Ganze im Auge behalten werden. Zudem ist es ratsam, das räumliche Vorstellungsvermögen zu unterstützen, etwa mit digitalen 3D-Objekten.
- Aspekte des Modellverständnisses: Hierbei wird darauf abgezielt, das Wesen der Modelle zu reflektieren. Dazu zählt, zu diskutieren, wann, wie und warum Modelle eingesetzt werden, welchen Nutzen sie mit sich bringen und wo sich ihre Grenzen befinden. Zudem sollten aus Modellen Hypothesen abgeleitet und das jeweilige Modell in diesem Zusammenhang getestet und modifiziert werden. Auf diese Weise kann die Entwicklung eines Wissenschaftsverständnisses gefördert werden. Darüber hinaus wird so ein interaktiver Unterricht initiiert, der im Rahmen dieses modelling-based-teaching die konstruktive Wissensaneignung fördert.
Konkrete Hilfestellungen im biomathematischen Unterricht
Neben dem selbstständigen Lernen kann im Rahmen des Unterrichts eine Reihe an Minimalinterventionen zur Unterstützung des Lernarrangements eingesetzt werden. Die Notwendigkeit hierfür ergibt sich aus dem Umstand, dass schülerseitig prinzipiell jede Modellierungsstufe als eine Hürde wahrgenommen werden kann, da Modellierungsaktivitäten als kognitiv besonders anspruchsvoll gelten. So haben viele Lernende bereits beim Verstehen der Aufgabenstellung Interpretationsprobleme; weiterhin zeigen sich Verständnisprobleme beim Vereinfachen und Strukturieren, beim Mathematisieren, beim Interpretieren – also dem Übersetzungsprozess von der Mathematik zum Rest der Welt – beim Validieren und der Vermittlung von Ergebnissen. Wess (2020) gibt hierfür, angelehnt an Zech (2002), eine hierarchisch zu verstehende Hilfestellung in fünf Kategorien:
- Motivationshilfen: Die Entschlossenheit der Lernenden soll hinsichtlich der fortwährenden Auseinandersetzung mit der Aufgabe aktiviert werden.
- Rückmeldehilfen: Neben der Motivation sollen die Lernenden Rückmeldung hinsichtlich der Qualität ihrer Lösungsansätze erhalten.
- Allgemein-strategische Hilfen: Hier wird auf die überfachliche Relevanz des Themas verwiesen und die fachspezifische Heuristik mit eingebunden.
- Inhaltsorientierte strategische Hilfen: Unterstützungsmaßnahmen, die auf die fachspezifische, mit einem inhaltlichen Aspekt verbundene Heuristik verweisen.
- Inhaltliche Hilfen: Diese Hilfestellung reicht von der Rekapitulation vorgeordneter Begriffe und Regeln hin zu der Vorgabe von Teillösungen.
Mehr zum Thema Hilfestellungen finden Sie auch im Modul Motivationale Aktivierung - Problemlösen - Quadrat- und Dreieckszahlen.
Hinsichtlich der Entwicklung von geeigneten Aufgabenstellungen seitens der Lehrenden können nach Wess (2020), ferner Greefrath et al. (2017, S. 936), folgende Kriterien in Betracht gezogen werden:
- Realitätsbezug: Es muss ein außerbiomathematischer Sachbezug vorliegen.
- Relevanz: Die Problemstellung wird von den Lernenden als für die eigene Lebenswelt interessant eingestuft.
- Authentizität: Die Problemstellung ist hinsichtlich seines außerbiomathematischen Bezugs authentisch und es wird auf eine konkrete Verwendung bezüglich einer konkreten Situation geachtet.
- Offenheit: Es ist möglich, unterschiedliche Lösungen zu erhalten, die sich womöglich auf unterschiedlichen Niveaus vollziehen.
- Förderung von Teilkompetenzen: Die Problemstellung fördert kognitive Teilkompetenzen im Rahmen ihres Lösungswegs.