Einführung und Begriffsdefinition
(Barke, 2006; Barke et al., 2007; Streller et al., 2019)
Lernende kommen nicht als unbeschriebenes Blatt in den Unterricht. Bevor der naturwissenschaftliche Unterricht beginnt, haben Lernende bereits viele Jahre Erfahrungen zu naturwissenschaftlichen Phänomenen gesammelt. Sie haben eventuell die ersten Versuche mit ihren Eltern und Geschwistern gemacht und auf Kinder angepasste Wissenssendungen wie die Sendung mit der Maus oder Wissen macht WOW gesehen. Zudem sammeln Sie eigene Erfahrungen und lernen, z. B. was passiert, wenn Eis in der Sonne steht, etwas fallen gelassen, geworfen oder getreten wird. Auf Grundlage all dieser Erfahrungen haben sich bei den Lernenden bestimmte Vorstellungen und Erklärungsansätze zu entsprechenden naturwissenschaftlichen Phänomenen entwickelt. Diese entsprechen nicht immer den naturwissenschaftlichen Fakten und werden in der Fachdidaktik als Schüler*innenvorstellungen, Fehlvorstellungen, lebensweltliche Vorstellungen, Präkonzepte, vorwissenschaftliche Vorstellungen, Alltagsvorstellungen oder auch Misconceptions bezeichnet (Barke, 2006). Streller et al. (2019) definieren diese Vorstellungen folgendermaßen:
Ein Beispiel hierfür wäre die Vorstellung zu Verbrennungsprozessen. Typischerweise gehen Lernende davon aus, dass ein Verbrennungsvorgang dazu führt, dass etwas „weg“ ist. Wie etwa: wir werden unser Müllproblem los, wenn wir den Müll verbrennen. Gibt man z. B. Kohlestücke in einen Kolben und verschließt diesen mit einem Luftballon und verbrennt diese Kohlestücke anschließend durch Erhitzen, so nehmen Lernende häufig an, dass der Kolben leichter geworden ist, da die Kohlestückchen weg sind. Ein anschließendes Wiegen zeigt, dass die Vorstellung sich hier nicht mit dem naturwissenschaftlichen Fakt deckt (dem Gesetz der Massenerhaltung) (Barke et al., 2007).
Eine häufige Fehlvorstellung bezieht sich z. B. auf die Teilchenebene von Flüssigkeiten. Denken Sie z. B. an Wasser, wie liegt dieses auf der Teilchenebene vor? Fragen Sie nun eine andere Person, wie liegt Wasser vor? Wenn die Antwort lautet, aus verschiedenen Teilchen/Atomen/Molekülen, fragen Sie doch einmal, was zwischen den Teilchen ist.
Eine häufige Fehlvorstellung/Präkonzept in Bezug auf Teilchen ist, dass zwischen den Teilchen nicht nichts ist, sondern die Teilchen sich in etwas bewegen. Bei Wasser-Molekülen besteht z. B. häufig die Vorstellung, dass sich die Teilchen in Wasser bewegen.
Wie bereits erwähnt entsprechen Schüler*innenvorstellungen/Präkonzepte häufig nicht der naturwissenschaftlichen Sichtweise. Früher vertrat man daher den Standpunkt, dass diese Vorstellungen für die Planung von Unterricht und den Lernprozess von Lernenden vernachlässigbar sind, man müsse lediglich entscheiden, in welcher Reihenfolge und mit welchen Methoden Inhalte vermittelt werden. Warum dies aus konstruktivistischer Sicht nicht zutrifft, wird im nächsten Kapitel thematisiert.